Nichts

Es war einmal nichts. Nichts war also.

Nichts war gut, wie man unschwer erkennen konnte. Denn alles war gut. Und wenn schon alles gut war, dann sicher auch nichts.

Nichts war also gut. Und nichts ging in die weite leere Welt hinaus und blickte sich um. Nichts hoffte insgeheim, andere nichts zu entdecken. Doch nichts sah – nichts. Also sich selbst. Die Welt war ein Spiegel seiner selbst. Nichts war sowohl innen als auch aussen.

So betrachtete sich nichts also selbst und das ausführlich. Und was er sah – nichts – erschreckte ihn bis aufs Mark. Er fing an, an seiner eigenen Existenz zu zweifeln und fiel in eine tiefe existentielle Krise.

Nichts war – das war klar, auch für nichts. Aber nichts war auch nichts.

Nichts dachte lange nach. Genau 137 Tage und 8 Nächte lang. Dann setzte er sich unter einen Birkenbaum und schaute gen Himmel. Und plötzlich wurde ihm alles klar. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen.

Des Rätsels Lösung war, das Rätsel beiseite zu legen, sich zu entspannen und der Welt zuzuschauen. So schaute also nichts zu. Schaute und schaute. Tagein und tagaus. Und plötzlich fing nichts an, zu erschaffen. Und so erschuf nichts aus sich selbst heraus (also aus nichts) ganze Universen.

Nichts kreierte Spielfilme, Musikalben und Postkarten. Er schrieb existentialistische Theaterstücke und trug sie selbst vor. Er komponierte 12-Ton-Musik mit 11 Tönen und malte runde Quadrate an die Wand.

Doch das war nichts nicht genug. Er war auf den Geschmack gekommen und schuf und schuf und schuf und schuf. Er schrieb Mathematik-Bücher voller paradoxer und doch korrekter Formeln, er projizierte Tausende eckige Kreise an die Wände von Sozialämtern, er gründete Parteien und löste sie sofort wieder auf, er pflanzte Bäume in der Wüste und schmiedete eine Toilette aus purem Gold, das er mit Sozialhilfe finanzierte, als dadaistisches Real-Life-Theaterstück. Dann schmolz er die Toilette wieder zusammen, verkaufte das Gold und schenkte es den Reichen.

Nichts wurde älter. Doch er hörte nicht mehr auf, zu schaffen. Er füllte 7 dicke Bände mit teilbaren Primzahlen. Danach gab er sich einen Künstlernamen: Alles.

An seinem 67ten Geburtstag starb nichts/alles plötzlich an einem Herzinfarkt. Er war sofort tot und wurde paradox begraben – also nicht. Oder kaum. Jedenfalls gab es einen nicht-existenten Grabstein, auf dem nichts stand. Es stand: «Hier ruht nichts.»